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Beantwortet
Autor Jessika Brinkmann am 08. Februar 2011
16045 Leser · 3 Kommentare

Soziales

Das Leben einer Rentnerin von morgen

Sehr geehrte Frau Merkel,

ich bin 23 Jahre alt und habe nach dem Abitur eine Ausbildung zur Bürokauffrau abgeschlossen. Ich arbeite bei einer deutschlandweit bekannten Zeitarbeitsfirma für 7,50 € pro Stunde, befristet versteht sich.

Ich habe schon einige Arbeitgeber verlassen müssen, weil der Vertrag auslief. Immer wieder habe ich das Problem mit der Suche nach Arbeit, immer wieder Probezeit, neue Aufgaben, neue Kollegen, neue Regeln und keine geregelte Urlaubsplanung. Das wirkt sich auf mein ganzes Leben aus. Auf eine unbefristete Anstellung hoffe ich vergebens, weil ich noch jung bin und aus Sicht der Chefs schwanger werden könnte.

Wenn wir Rentner von morgen eine Einheitsrente bekommen, wozu sollen wir dann noch arbeiten? Warum müssen nicht die jetzigen Rentner schon ihre komplette Rente versteuern? Die Schulden betreffen uns doch alle.

Ich würde mir gern eine eigene Wohnung einrichten, heiraten, Urlaub und den Führerschein machen wollen und eventuell ein Kind bekommen. Aber wie soll ich mein Leben planen, wenn ich keine berufliche Zukunft habe und ich mir von den kurzen Arbeitsverhältnissen kein Geld ansparen kann?

Die Grundlage für das Leben, ist eine gesicherte Beschäftigung für alle. Gerade wir jungen Leute sind die, die ihr Leben aufbauen, die sich weiterbilden, einen Haushalt und eine Familie gründen. Warum werden ausgerechnet wir benachteiligt? Das spiegelt sich selbst in Tarifverträgen wieder, wenn es um den Urlaubsanspruch und die Firmenzugehörigkeit geht. So gibt es für mich überall höchstens 26 Urlaubstage und mit jedem neuen Arbeitsverhältnis nur Gehalt im 1. Jahr. Selbst beim Kündigungsschutz werden junge Arbeitnehmer benachteiligt, obwohl gerade wir einen Job brauchen, um uns berufliche Kenntnisse anzueignen. Wie soll das gehen, wenn ich immer nur vorübergehend Jobs habe und in jeder Firma wieder von vorn anfange? Frau Merkel, Sie sprechen von Fachwissen, das in den nächsten Jahrzehnten auf dem Arbeitsmarkt gefragt ist. Wie soll ich mir aber mit instabilen Arbeitsverhältnissen tieferes Fachwissen aneignen?

Das Thema Zeitarbeit („… schafft erst einmal einen Berufseinstieg …“) ist meines Erachtens auch nicht richtig durchdacht und betrifft nun mittlerweile ganze Geburtsjahrgänge zwischen 1980 und 1990. Ja, wir kennen gar nichts anderes. Wir fühlen uns wie Wegwerfprodukte des Arbeitsmarktes. Die Politiker diskutieren über 7,50 € oder 8 €. Hier geht es um mehr als 50 Cent pro Stunde. Hier geht es um die Zukunft aller, denn wir zahlen die Steuern und die Rentenbeiträge noch sehr lange.

Bildungsferne Schichten – sind wir das? Schulbildung ist die eine Seite, Berufspraxis die andere. Hier muss angesetzt werden, denn was nützt Bildung, die nicht in die Praxis umgesetzt werden kann. Feste Arbeitsverhältnisse sind die Grundlage für Familie, Fachkenntnisse und Steuerbeiträge.

Meine Generation wird schon am Anfang des Berufslebens mit den sozialen Problemen überfordert. Kein Wunder, dass so viele junge Familien in die Brüche gehen und Abschreckung Kinderloser sind. Die Kinder von heute werden durch Patchwork, ewiger Jobsuche der Eltern und instabilen Familieneinkommen einen noch schlechteren Start ins Leben haben. Genau die aber sind die Rentenzahler für uns übermorgen.

Meine Vorschläge deshalb:

1. Die Befristung von Arbeitsverträgen wird deutschlandweit gestrichen. Es gibt die Möglichkeit einer Probezeit und die ist meines Erachtens ausreichend. Sollten Kündigungen erfolgen, dann sollte die Sozialauswahl zunächst die Arbeitnehmer treffen, die länger als 5 Jahre im Unternehmen sind, aber nicht die, die bereits 55 Jahre alt sind. Das fände ich gerecht.

2. Steuervergünstigung für Unternehmen, die Arbeitnehmer mit Berufsabschluss beschäftigen und die jünger als 30 Jahre sind und weniger als 5 Jahre Berufspraxis haben.

2. Einführung eines extra Steuerfreibetrags für junge Leute unter 35 Jahre als Ausgleich für die erhöhten Ausgaben als Lebensexistenz-Gründer.

Was halten Sie von meinen Vorschlägen, Frau Merkel?

Ich danke Ihnen für Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen
Jessika Brinkmann

Antwort
im Auftrag der Bundeskanzlerin am 14. März 2011
Angela Merkel

Sehr geehrte Frau Brinkmann,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die wir im Auftrag der Bundeskanzlerin beantworten.

Wenn ein junger Mensch aus dem Elternhaus auszieht, ins Berufsleben einsteigt und sich allein zurechtfinden muss, kommt viel Neues auf ihn zu. Die Ungewissheit der Zukunft ist nicht für jede(n) leicht zu bewältigen. Umso wichtiger ist es, eine zukunftsorientierte Ausbildung zu wählen.

Sie schlagen vor, befristete Arbeitsverträge abzuschaffen, um so jungen Menschen mehr Sicherheit zu geben. Die Befristung ermöglicht es auf der anderen Seite Unternehmen, dass sie einstellen, wo sie sonst nicht einstellen würden. Arbeiten, die nur für einen begrenzten Zeitraum anfallen, würden sonst z.B. ins kostengünstigere Ausland verlagert werden. Damit ist die befristete Beschäftigung wiederum ein Gewinn für die hiesigen Beschäftigten.

Die Bundesregierung sieht die befristete Beschäftigungsmöglichkeit aber auch als Chance für die Beschäftigten an. Mit steigendem Fachkräftebedarf werden Unternehmen den befristet Beschäftigten, die sich bewährt haben, zunehmend die Chance auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis eröffnen.

Es ist richtig, dass junge Familien erhöhte Aufwendungen wegen ihrer Kinder haben. Deshalb unterstützt der Bund Familien zum Beispiel über das Elterngeld oder das Kindergeld und steuerliche Erleichterungen. Näheres finden Sie unter http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/themen-lotse,thema=th....

Familienpolitische Leistungen im Überblick: http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_54012/DE/Buerger...

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Kommentare (3)Schließen

  1. Autor Hans-J. Ruther
    am 17. Februar 2011
    1.

    Ja, ich bezeichne diese heutige Politik, nach einem 50jähreigen, erfolgreichen Arbeitsleben, als schizophren und unchristlich:

    Die jungen Leute sollen Familien gründen, Kinder bekommen (im Prekariat großziehen) und noch zusätzlich für ihre Rente sparen.

    Ja, ganz abgesehen davon, dass auch sehr viele gut ausgebildete Hochschulabsolventen teils kostenlos bei Firmen als 'Projektmitarbeiter' die Arbeitswelt kennen lernen dürfen - ohne feste Anstellung (trotz Probezeit). Dabei beklagen sich gerade diese Firmen über 'qualifizierten' Fachkräftemangel. Ja sind denn unsere 'kostenlosen' Hochschulen unfähig im Ausbilden und Examinieren?

    Die Regierung nickt willfährig mit dem Kopf und öffnet demnächst die Grenzen, um 'besser' ??? qualifizierte aus anderen Ländern (zum Lohndumping!) zuzulassen.

    Ich arbeitete in einer Weltfirma und erlebe heute was die Jobverlagerung nach Asien bringt. Meine ausländischen Freunde haben gleiche Erfahrungen.

    (Die Lobbyisten wollen leben und die Parteispenden sollen fließen)

    Das gilt auch für die anstehende Öffnung des Arbeitsmarkts der EU - ohne Mindestlohn-Vereinbarung! Leider verstehen zu wenig Politiker etwas von Wirtschaft. Der abgesicherte Sprung in die Politik aus einem Beamtenleben wird mit Politikpfründen noch vergoldet.

    Sind die Politiker trotz zahlreicher Hinweise darauf blind - oder nur zynisch?

    Vorsicht, das gilt auch für Politiker:
    Im Alter holen einen solche Situationen im Traum ein und können einem einen Teil der Nachtruhe rauben! (Sprechen sie vorbeugend mit ihrem Psychotherapeuten oder Pfarrer!)

  2. Autor Bea Schmidt
    am 17. Februar 2011
    2.

    Ich ergänze noch: Wiedereinführung des 3-jährigen Erziehungsgeldes, damit man auch die Zeit und eine gewisse Sicherheit hat, sich seinen Kindern zu widmen, die Deutschland so dringend braucht!
    Familie gründen bedeutet auch, Kindern Sicherheit und Stabilität zu bieten, besonders in den ersten 3 Jahren.
    Dass gewisse Einschränkungen mit Kindern verbunden sind, war schon immer so - und wird auch immer ein Stück weit so sein, aber um überhaupt einmal das Geld zusammenzubekommen, um eine Familie zu gründen, DAS ist heute in der Tat mit diesen Arbeitsbedingungen ein ganz gewaltiges Problem! Davon läßt sich nicht viel sparen, und nicht jeder möchte für die Baby-Erstausstattung das Amt aufsuchen, sondern sich diese ganz "altmodisch" und unabhängig selbst zusammensparen. Mit der heute herrschenden Lohn- und Arbeitspolitik werden potenzielle Familien daran gehindert, sich etwas aufbauen zu können. Ich verstehe sowieso nicht, wieso gewählte Politiker nach den Wahlen scheinbar immer zu "Gegnern" des Volkes werden, welches sie eigentlich vertreten sollen.
    Wenn ich überlege, wieviele Milliarden, die der deutsche Steuerzahler jährlich erwirtschaftet, dem steuerzahlenden Volke NICHT wieder zugute kommen, wird mir Angst und Bange...

  3. Autor Martin G. Schultz
    am 06. März 2011
    3.

    Vielleicht kein Trost, wenn ich Ihnen sage, dass meine 25-jährige Tochter nach abgeschlossenem Studium in Mexiko bei einem weit geringeren Stundenlohn (allerdings mit unbefristetem Arbeitsvertrag) als Grafik-Designerin von 26 Urlaubstagen im Jahr nur träumen kann. Sie bekommt nur 8 (acht) Tage Jahres-Urlaub bei einem 9-Stundentag (d.h. 45-Stundenwoche) Ein Rentnerinnendasein (ich zitiere mit Einverständnis der Direktzu-Redaktion den Ex-Minister Norbert Blüm:"Die Rente ist sicher!") in Deutschland mag sich meine Tochter noch nicht ausmalen.

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