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Beantwortet
Autor Annette Karrasch am 27. Juli 2009
39082 Leser · 0 Kommentare

Soziales

Können unsere Gesetze nicht mehr zwischen Recht und Unrecht unterscheiden?

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

ich lese in der heutigen Ausgabe des Hamburger Abendblatts folgende Nachricht: 59-jährige Küchenangestellte eines Krankenhauses nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit entlassen, weil drei Brötchen in ihrem Spind gefunden worden waren. Im gleichen Artikel wird von einer Kassiererin berichtet, die ihren Job wegen zweier Pfandbons im Wert von 1,30 Euro verlor und ein Müllmann stehe vor dem Arbeitsgericht, weil er ein Kinderbett vom Müll mitgenommen hatte und deshalb entlassen wurde.
Ich bin entsetzt, dass in unserer Gesellschaft scheinbar Gesetze existieren, die dieses Vorgehen ermöglicht.
Auf der einen Seite wird hart arbeitenden Menschen nicht mehr genug Geld zum Leben gelassen. Sogar Kinder sind mittlerweile von der immer weiter zunehmenden Verarmung in Deutschland betroffen. Andererseits bestraft man Menschen dafür, dass sich in der Not ein wenig behelfen. Glauben Sie wirklich, dass sich die Frau mit den drei Brötchen bereichern wollte? In Krankenhäusern werden alle Nahrungsmittel, die nicht von den Patienten gegessen werden und zurückgehen, vernichtet. Warum sollte sich die Küchenangestellte nicht drei Brötchen davon nehmen dürfen? Oder warum wird ein Müllmann entlassen, wenn er ein Kinderbett vom Müll mitnimmt, was ein anderer bereits weggeschmissen hat? Wem schadet er damit? Es ist vielmehr traurig, dass er sich kein Neues leisten kann.
Wie sollen wir unseren Kindern Werte wie Menschlichkeit, Solidarität und Hilfsbereitschaft beibringen, wenn nicht einmal erwachsene Menschen in der Lage sind, diese Werte zu beachten und nicht zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Ich befürchte, unsere Gesetze können es auch nicht und ermöglichen diese Grausamkeiten.

Meine Frage: Gibt es Gesetze, die diese grausame und unmenschliche Behandlung ermöglichen? Wenn ja, ist es nicht Aufgabe unserer Politik, diese zu ändern oder abzuschaffen?

Antwort
im Auftrag der Bundeskanzlerin am 04. September 2009
Angela Merkel

Sehr geehrte Frau Karrasch,

vielen Dank für Ihre Zuschrift, die wir im Auftrag der Bundeskanzlerin beantworten.

Deutsche Gesetze sind nicht geschrieben, um grausame und unmenschliche Behandlung zu ermöglichen. Im Gegenteil. Schon das Grundgesetz verpflichtet den Staat, die Würde des Menschen zu schützen. Grausamkeit und Unmenschlichkeit sollen also gerade verhindert werden.

Allerdings sehen deutsche Gesetze bei Verfehlungen auch Folgen vor. Das gilt auch im Arbeitsrecht: Manche Vorfälle – zum Beispiel Straftaten wie Diebstahl – können unter bestimmten Umständen auch zu einer Kündigung führen. Für eine solche Kündigung sieht das Gesetz jedoch vor, dass alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind. Die Interessen beider Vertragsparteien müssen gegeneinander abgewogen werden – gerade um ungerechte Ergebnisse zu vermeiden.

Diese Abwägung im Einzelfall ist Sache der Gerichte, wie auch die Beurteilung des gesamten Hergangs. Weil nicht jeder Fall gleich ist, entscheiden sie unterschiedlich – teils auch für die Gekündigten. So zum Beispiel letztlich auch in dem von Ihnen genannten Fall des Entsorgungsmitarbeiters: Hier hat ein Mannheimer Gericht entschieden, dass der Betroffene weiterbeschäftigt werden muss.

Grundsätzlich kann es also nicht darum gehen, Gesetze zu ändern. Vorrangig ist, sie richtig anzuwenden.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung