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Ihr Moderationsteam

Beantwortet
Autor Konrad Huber am 14. April 2009
22512 Leser · 0 Kommentare

Kultur, Gesellschaft und Medien

mehr Freiheit für die neuen Medien in Deutschland

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

seit dem Amoklauf in Winnenden ist ein Thema wieder in aller Munde: die „Gewalt“ in den Medien und ein Verbot solcher, vor allem aber in PC- und Videospielen.
Mein Beitrag ist aber keine weitere Forderung nach strengeren Regeln oder Verboten. Die Gesetze in Deutschland schießen nämlich bereits weit über das Ziel hinaus und als Reaktion auf den Amoklauf, wird sogar wieder ein generelles Verbot für solche Spiele gefordert.

Zu Beginn gleich eines vorneweg. Der Begriff „Killerspiele“, ist nichts weiter als reiner Populismus, einzig zu dem Zweck entworfen, Konsumenten solcher Spiele zu diffamieren und falsche Tatsachen über sie zu suggerieren. Kein seriöser Politiker, Journalist, Psychologe oder Wissenschaftler sollte sich eines solch haarsträubenden Begriffs bedienen, zumindest nicht, wenn er von Konsumenten besagter Medien ernst genommen oder unterstützt werden möchte. Dennoch taucht dieser Begriff immer wieder auf, im Fernsehen, in der Presse, aber auch in offiziellen Statements der Regierung.

Dies ist aber nicht der Grund, warum ich diesen Beitrag schreibe. Es geht mir darum, dass die neuen Medien in Deutschland viel zu streng kontrolliert werden.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Artikel wie „§131“ des Strafgesetzbuches wurden sicher mit den besten Intentionen verfasst, wirken zumindest teilweise allerdings etwas fehl am Platz, beobachtet man die Entwicklung der internationalen Unterhaltungsindustrie in den letzten Jahrzehnten.
Für viele Bürger der Bundesrepublik, darunter auch viele Politiker, mag es sehr befremdlich, ja sogar abschreckend wirken, dass ein so großer Teil der Bevölkerung sich so gerne den verschiedensten fiktiven Konflikten am Bildschirm zuwendet, egal ob interaktiv oder nicht. Aber es gibt Millionen von Spielern und Film-Fans in diesem Land die nur zu gerne „gewalthaltige“ Medien aller Art konsumieren, ohne dabei selbst gewalttätig zu werden oder die Achtung vor der Menschenwürde zu verlieren. Egal ob sie gerne Horrorfilme ansehen oder die berüchtigten Ego-Shooter spielen.
Ich rede hier nicht nur von Jugendlichen, Fans solcher Medien sind häufig 30-40 Jahre alt; Computerspiele sind schon lange mehr als nur Jugendkultur. Und diese volljährigen, verantwortungsbewussten Menschen müssen in der Bundesrepublik mit einer der strengsten Zensurbehörden Europas leben.
Ja, Zensur!

Filme und Spiele aller Art müssen von ausländischen Produzenten häufig gekürzt und geschnitten werden, damit die deutschen Bewertungsbehörden einer Veröffentlichung überhaupt erst zustimmen. Andernfalls werden solche Titel indiziert, später eventuell beschlagnahmt und sind in Deutschland nur noch schwer zu bekommen. Und das, Frau Bundeskanzlerin, ist Zensur.
Volljährige deutsche Spiel- und Filmfans sehen sich dadurch oft gezwungen, diese Medien im europäischen Umland zu erwerben. Entweder weil sie es in Deutschland nicht bekommen können oder falls doch, dann häufig nur ein in einer gekürzten Fassung. Denn viele dieser Filme und Spiele sind nicht billig und wenn ein Sammler sie besitzen möchte, dann bitte auch in der Originalfassung.

Mir ist bewusst, wie merkwürdig dieser Beitrag klingen muss, so kurz nach den Ereignissen von Winnenden. Dennoch, hier meine Frage an Sie Frau Bundeskanzlerin:

Wäre es nicht sinnvoll, den Artikel §131 so abzuändern, dass Konsumenten in Deutschland die gleichen Medien käuflich erwerben können wie unsere Nachbarn in der Schweiz, Italien oder Frankreich? Wäre dies nicht auch im Sinne einer immer mehr zusammenwachsenden europäischen Gemeinschaft?
Leben wir denn in einer Gesellschaft, in welcher der Staat ihm unangenehme Medien einfach verbieten darf?

Sollten besagte Medien nicht für Minderjährige geeignet sein, würden sie natürlich immer noch das Label „keine Jugendfreigabe“ oder etwas Vergleichbares tragen, wodurch Eltern und Händler weiterhin über den Inhalt informiert sind und ein gründlicher Jugendschutz weiterhin gewährleistet werden kann.

Eine Anpassung an die Zensurpolitik unserer Nachbarländer in der EU würde zu 3 Dingen führen: Zufriedene Konsumenten, zufriedene Händler, zufriedene Wähler. Nur zu einem würde es sicher NIE führen: reale Gewalt.

Hochachtungsvoll
Konrad Huber

Antwort
im Auftrag der Bundeskanzlerin am 06. Mai 2009
Angela Merkel

Sehr geehrter Herr Huber,

vielen Dank für Ihre Zuschrift, die wir im Auftrag der Bundeskanzlerin beantworten.

Digitale Unterhaltungsmedien wie Computerspiele sind in den letzten Jahren zu einem wesentlichen Bestandteil unseres Alltags geworden. Zunehmend haben sie etwa bei Kindern und Jugendlichen andere Medien und anderes Freizeitverhalten abgelöst. Die Ereignisse in Winnenden haben die Diskussion über Computerspiele und Jugendschutz wieder angefacht. Wir stimmen Ihnen zu, dass der vereinzelte Ruf nach verschärften Verboten gewalthaltiger Spiele an den rechtlichen Gegebenheiten vorbeigeht und die vorrangigen Ursachen für Taten wie jetzt in Winnenden nicht angemessen berücksichtigt.

So besteht schon jetzt im Rahmen eines abgestuften Systems ein umfassendes Herstellungs- und Verbreitungsverbot für gewaltverherrlichende oder -verharmlosende Spiele. Auch wenn man davon ausgeht, dass es nicht ohne Auswirkung auf Kinder und Jugendliche bleiben kann, wenn ihnen Gewalt ständig als ein normales und gesellschaftlich akzeptiertes Konfliktlösungsmuster vorgeführt wird, spricht viel dafür, dass übertriebener Spielekonsum nicht die beherrschende Ursache für solche Übergriffe wie in Winnenden, sondern vielmehr Symptom und Verstärker für andere Defizite ist. Die Gründe für solche Taten dürften maßgeblich in sozialer Isolation, Orientierungslosigkeit und Frustration liegen. Allein mit dem Instrument des Jugendschutzrechts und des Strafrechts lassen sich diese Probleme nicht lösen. Hier müssen alle gesellschaftlichen Gruppen ihre Verantwortung wahrnehmen, allen voran die Eltern.

Eine Liberalisierung des § 131 StGB lässt sich dadurch jedoch nicht rechtfertigen. Das Gewaltdarstellungsverbot soll die Wahrung des öffentlichen Friedens gewährleisten und zielt darauf ab, die Risiken exzessiver Gewaltdarstellung zu verdeutlichen. Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass von Gewaltdarstellungen Gefahren ausgehen. Aufgrund der gewichtigen Schutzgüter rechtfertigt schon die Möglichkeit sozialschädlicher Wirkungen das Gewaltdarstellungsverbot des § 131 StGB. Die damit vorgenommene Einschränkung der Grundrechte aus Art. 5 GG ist daher verhältnismäßig.

Dem Gesetzgeber steht insoweit eine sogenannte Einschätzungsprärogative zu – also das Vorrecht, Gesetze entsprechend der eigenen Einschätzung im Hinblick auf tatsächliche Gegebenheiten zu fassen. Er kann zur Wahrung des öffentlichen Friedens Schutzmaßnahmen ergreifen, ohne abwarten zu müssen, welche Wirkungen tatsächlich von Gewaltdarstellungen ausgehen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung