Sehr geehrter Herr von Andrian,
die von Ihnen beklagte Abnahme der Leidenschaft in den Parlamentsdebatten ist schwer messbar, wird aber nicht selten bemängelt. Allerdings erinnern wir uns mit Blick auf die 50er, 60er und 70er Jahre ja nicht an die täglichen Debatten, sondern an die herausragenden. Es fallen uns auch nicht 50 oder 100 Namen eindrucksvoller Redner ein, sondern drei oder vier. Die Auffassung, damals sei alles viel lebhafter, viel leidenschaftlicher, viel kraftvoller gewesen, ergibt sich daher möglicherweise aus der typischen Verwechslung von Ausnahme und Regel.
Soweit sich der Debattenstil tatsächlich geändert haben sollte, dürfte der Bundestag repräsentativ auch für eine veränderte Kultur der Auseinandersetzung sein: Es geht in der Regel nüchterner und technischer zu, ohne große Gefühlsausbrüche. Dies liegt zum Teil auch daran, dass die Probleme viel komplexer geworden sind und es daher auch komplizierter geworden ist, diese zu vermitteln. Dies sollte man bei Vergleichen zwischen gestrigen und heutigen Parlamentsdebatten berücksichtigen, die wohl auch noch dadurch erschwert werden, dass die Bundestagsdebatten heute in einem medialen Umfeld geführt werden, das sich stark von dem früherer Jahrzehnte unterscheidet.
Mit freundlichen Grüßen