Sehr geehrter Herr Cassun,
bereits 1987 wurden - als Konsequenz aus der Tschernobyl-Katastrophe - für künftige Fälle einer akuten radiologischen Notstandssituation vorsorglich europäische Grenzwerte durch Verordnung, die so genannten Schubladenverordnung, festgelegt (Verordnung (EURATOM) Nr. 3954/87 des Rates; Grenzwerte für Futtermittel sind auf der Grundlage dieser Verordnung durch die Verordnung (EURATOM) Nr. 770/90 festgelegt worden). Diese fanden zum Zeitpunkt Ihrer Anfrage europaweit Anwendung.
Im Übrigen gab es vor Verabschiedung der Japan-Verordnung keine Grenzwerte für japanische Produkte. Ohne die Festsetzung von Grenzwerten wäre ein europäisch einheitliches Vorgehen bei der Zurückweisung von Produkten, die von dem aktuellen Ereignis betroffen sind, nicht möglich. Die in den Medien häufig zitierte Tschernobyl-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 733/2008) gilt nur für Importe aus Drittstaaten, die von dem Tschernobyl-Unglück betroffen waren. Japan gehört nicht dazu.
Die Grenzwerte der Tschernobyl-Verordnung dienen auch dem Monitoring: sie wurden so angesetzt, dass man ein möglichst engmaschiges Lagebild über die Langzeitbelastung mit Radioaktivität erhält. Merkmal der Tschernobyl-Verordnung ist außerdem, dass sie ausschließlich Cäsium regelt, nicht jedoch Jod-131 und andere radioaktive Isotope.
Die Sicherheitsstandards nach der Japan-Verordnung umfassen deshalb neben Cäsium auch radioaktives Jod. Denn neben Cäsium entweicht auch Jod aus dem Reaktor in Fukushima und kann damit Lebensmittel belasten. Bisher gab es dafür keinen Grenzwert in Europa. Der vorrangig durch die Medien aufgebrachte Vorwurf einer "Lockerung" oder "Anhebung" ist folglich nicht gerechtfertigt.
Seit Ihrer Anfrage hat sich die rechtliche Situation folgendermaßen verändert:
Mit der Verordnung (EU) Nr. 351/2011 wurde die Japan-Verordnung um einen Anhang ergänzt, der von der Schubladenverordnung unabhängige, strenge Grenzwerte für die radioaktive Belastung von Lebensmitteln und Futtermitteln aus Japan vorsieht. Zuvor hatte sich die Bundesregierung mit einem Vorschlag zur Harmonisierung der Grenzwerte an die Kommission gewandt, um eine für die Verbraucher nachvollziehbare Regelung zu schaffen und zudem die Kontrollen an den EU-Außengrenzen einfacher und noch effektiver zu gestalten. Diese Verordnung ist seit dem 13. April 2011 in Kraft.
Mit der Verordnung (EU) Nr. 506/2011 wurde die Verpflichtung zur Warenuntersuchung vor dem Export auf eine weitere Präfektur Japans ausgeweitet und die Kontrollmaßnahmen verlängert.
Die Europäische Kommission berichtet regelmäßig über die innerhalb der EU zusammengetragenen Messergebnisse zur radiologischen Aktivität von Lebensmitteln aus Japan. Bisher zeigten die Ergebnisse keinerlei Auffälligkeiten und liegen sämtlich in einem Bereich, der der natürlichen Strahlung entspricht und damit weit unterhalb der gültigen Grenzwerte. Die für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Behörden haben nach dem derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass belastete Waren aus der Krisenregion nach Deutschland gelangt sein könnten.
Weitere Informationen erhalten Sie auch im Internetauftritt meines Ministeriums: http://www.bmelv.de/SharedDocs/Standardartikel/Ernaehrung...
Die Vorwürfe in Ihrer Fragestellung entsprechen aus den dargelegten Gründen somit nicht den Tatsachen. Das Thema der radioaktiven Belastung von Lebensmitteln wird von der Bundesregierung mit höchster Sensibilität und stets unter dem übergeordneten Primat des vorsorgenden Verbraucherschutzes behandelt. Für alle mit der Thematik vertrauten Personen gilt natürlich, dass keine voreiligen, beispielsweise die rechtliche Lage nur unzureichend wiedergebende Aussagen getroffen werden sollten, die zu weiterer Verunsicherung der Bevölkerung führen können. Dies gilt in besonderem Maße für Personen, die verantwortungsvolle und wichtige Funktionen, wie zum Beispiel die eines Strahlenschutzbeauftragten, wahrnehmen. Insofern bitte ich Sie um entsprechende Berücksichtigung.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Bundesministerin