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Beantwortet
Autor Katharina Wolle am 17. Januar 2009
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Familie

Studierende Eltern- eine übersehene Randgruppe?

Sehr geehrte Frau von der Leyen,
ich möchte Ihnen zuerst von der kleinen Anna erzählen. Anna ist fünf Jahre alt und lebt zusammen mit ihrer Mama in Mannheim. Anna ist ein hübsches, blondes Mädchen mit großen, traurigen Augen. Viel mehr weiß ich nicht über sie, denn ich konnte sie nur eine Stunde lang kennen lernen, als ich zufällig mit ihr in einem Zugabteil saß. Ich selbst war mit meiner einjährigen Tochter unterwegs. Anna war mit ihrer Tante unterwegs. Sie brachte ihre kleine Nichte gerade aus Berlin zurück nach Mannheim. „Ick hab se mal fürn paa Wochen jenomm’ weil immer nur vor de Glotze hängen is ja och nüscht für son kleenet Kind, meene Schwester kümmat sich ja nich“ Ich fragte, ob Anna Gechwister hätte. „Ja, drei Stück, hat aber alle det Jugendamt wegjeholt. Naja, wenn de Mutter Drogen nimmt, is nich so jut, wa.“ Dann packte sie auch schon zusammen und währenddessen erzählte sie mir noch von einer Freundin: „Die hat schon zehne und ick hab se jesacht, dass se mal langsam uffhörn kann mit Kinderkriegen. Nee, zahlt doch der Staat, hat se jesacht.“ Wir verabschiedeten uns und ich schaute ihr hinterher, wie sie auf dem Bahnsteig die kleine Anna eilig hinter sich herzog.
Auf den freigewordenen Platz setzte sich nun eine etwa achzigjährige Frau mit weißem Haar, die freundlich auf meine kleine Tochter schaute. Die alte Dame erzählte von ihren vier Kindern und ihren 13 Enkeln. Ich fragte interessiert, ob denn schon Urenkel in Aussicht wären, aber sie winkte nur ab. Die vier ältesten Enkel würden momentan alle promovieren, die anderen wären noch im Studium. Ihr ältester Enkelsohn, so alt wie ich, hätte zwar eine Freundin, aber sie hätten keine Lust zu heiraten und an Kinder wäre erst recht nicht zu denken.
Hier in diesem etwa sechs Quadratmeter großen Zugabteil, auf der Fahrt quer durch Deutschland wurde mir innerhalb von zwei Stunden eine soziale Gesellschaftsstudie vor Augen geführt, wie man sie nicht anschaulicher hätte entwerfen können. Ich persönlich gehöre zu der zweiten sozialen Gruppe, der Schicht, dem Milieu oder wie auch immer man es nennen mag: den Akademikern und bin mit meinen 31 Jahren eine der ganz wenigen Frauen mit Kindern im gleichaltrigen Freundes und Verwandtenkreis.
Doch was soll die Zählerei, sollen die einen doch Kinder bekommen wie es ihnen gefällt und die anderen sollen es eben nicht tun. Ich fürchte aber, so einfach kann man es eben nicht dabei belassen. Denn zum einen werden die Kinder auf der einen Seite nicht in Familien geboren, die ihnen eine wünschenswerte Zukunft bieten können und auf der anderen Seite fehlen die Nachkommen derer, die schließlich auch für die Zukunft unseres Landes verantwortlich sein werden.
Ich bin Studentin und ich habe zwei Kinder. Ich weiß, wie schwer es ist, Studium und Familie unter einen Hut zu bringen. Studenten bekommen keine Sozialhilfe. Für meine Kinder habe ich ALGII beantragt und warte seit einem halben Jahr auf einen Bescheid vom „Jobcenter“ meines Vertrauens.
Ich verstehe jede Frau, die in solch einer finanziellen Situation keine Kinder bekommen möchte. Für Frauen, die nicht studieren (siehe Annas Familie) ist es dahingegen recht attraktiv viele Kinder zu bekommen, denn da zahlt ja tatsächlich der Staat immerhin soviel, dass man damit über die Runden kommt, wenn man bescheiden lebt.
Hat man studierende Eltern übersehen, als man das Elterngeld entwickelt hat und auf mehr gebärende Akademikerinnen hoffte?
Vielleicht konnte ich hiermit der Gruppe der studierenden Eltern eine Stimme geben, die gehört wird und die etwas verändern kann.
Mit freundlichen Grüßen,
Katharina Wolle

+92

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Antwort
von Ursula von der Leyen am 02. April 2009
Ursula von der Leyen

Sehr geehrte Frau Wolle,

zunächst einmal: Ich finde es bewundernswert, dass Sie es schaffen, zu studieren und gleichzeitig für Ihre Kinder da zu sein! Ich kenne die Schwierigkeiten, die Sie ansprechen und ich möchte Ihnen Mut machen. Denn (fast) alle haben inzwischen verstanden, dass sich in Deutschland einiges ändern muss, bis wir ein so familienfreundliches Land sind, wie Sie und ich uns das wünschen.

Sie haben die finanziellen Probleme studierender Eltern angesprochen. Auch Studierenden mit Kindern hilft in den ersten 12 oder 14 Monaten das Elterngeld, über die Runden zu kommen. Wenn die Eltern vor der Geburt kein Einkommen hatten, erhalten sie den Mindestbetrag von 300 Euro, eventuell den Geschwisterbonus von 75 Euro. Seit Anfang 2008 gibt es außerdem einen Kinderzuschlag im Bafög für alle studierenden Eltern mit einem Kind bis zum zehnten Lebensjahr. Der Zuschlag beträgt für das erste Kind monatlich 113 Euro und für jedes weitere Kind 85 Euro. Es gibt für Eltern auch die Möglichkeit, etwas nebenher zu verdienen, ohne dass gleich beim Bafög gekürzt wird: Wer Bafög bekommt und ein Kind hat, kann zusätzlich zu seinem eigenen Freibetrag anrechnungsfrei für das Kind bis zu 470 Euro im Monat hinzuverdienen. Darüber hinaus bekommen Studierende, die ein Kind erziehen, länger Bafög, sogar über die Regelstudienzeit hinaus.

Ich bin überzeugt, dass die Haupthürde für Studierende mit Kind immer noch der Spagat ist, den Uni-Alltag mit Kind und Vorlesung zu meistern. Unsere gesamte Arbeitswelt in Wirtschaft und Wissenschaft – und dazu zähle ich die Universitäten – muss Kinder viel stärker mitdenken. Warum müssen so viele Seminare und Vorlesungen zu Zeiten stattfinden, zu denen normale Kitas und Kindergärten garantiert geschlossen sind? Junge Väter und Mütter im Studium sind in besonderem Maße auf flexible Kinderbetreuungsangebote auch zu Randzeiten angewiesen. Mein Ministerium fördert mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds Hochschulen, die jetzt neue Betreuungsplätze einrichten.

Wenn Sie einen Nachteil für Studierende beim Elterngeld erkennen, kann ich dem nicht beipflichten. Das Elterngeld ist eine Familienleistung des Staates, die ein Erwerbseinkommen teilweise ersetzen soll, das wegen der Geburt eines Kindes plötzlich wegbricht. Es widerspricht dem Gebot der Fairness, Studierende dabei anders zu behandeln als andere Eltern, die kein oder nur ein geringes Erwerbseinkommen haben. Das Elterngeld darf keine Wertung vornehmen und unterscheidet daher nicht, aus welchen Gründen die Eltern kein Erwerbseinkommen haben.

Dass die Bearbeitung Ihres Antrags für die Unterstützungsleistungen für Ihre Kinder beim Jobcenter jetzt schon ein halbes Jahr dauert, ist aus meiner Sicht übrigens völlig unverständlich. Haken Sie beim Leistungszentrum nach, fordern Sie Auskunft ein! Diese Bearbeitungsdauer ist keinesfalls akzeptabel.

Ich drücke die Daumen, dass Sie Ihr Studium mit den zwei Kindern bald erfolgreich beenden. Ich bin mir sicher, dass die damit verbundene große Logistik- und Energieleistung aus Arbeitgebersicht ebensoviel wert ist, wie der Abschluss selbst.

Herzliche Grüße

Ihre