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Autor L. Fernández Vidaud am 25. Januar 2010
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Parlamentarische Initiativen

Wahlanfechtung, Wahlprüfung und der verfahrensrechtliche Engpaß durch § 48 BVerfGG

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

in Ihrer ersten Rede vor dem Bundestag gaben Sie am 27.10.09 (vgl. Plenarprotokoll 17/1, S.9 B) zu verstehen, daß Sie § 48 BVerfGG für verfassungswidrig halten. Sie drückten diese Meinung wie folgt aus:

„Aus gegebenem Anlass wird sich der neue Bundestag sehr bald sowohl mit den Transparenzregeln für Abgeordnete wie mit einzelnen Bestimmungen unseres
Wahlrechts befassen müssen. Ich hoffe sehr, dass wir bei diesen beiden Themen mit möglichst breiten, fraktionsübergreifenden Mehrheiten zur überzeugenden Korrektur von Regelungen kommen, die nicht erst seit den gerichtlichen Beanstandungen umstritten sind. Dabei empfehle ich uns auch einen ruhigen Blick auf die geltenden Regelungen zur Zulassung nicht bereits im Parlament vertretener Parteien zur Bundestagswahl. Dass im dafür zuständigen Wahlausschuss Vertreter der etablierten Parteien über die Zulassung von Konkurrenz entscheiden, ist nicht über jeden demokratischen Zweifel erhaben.

… Beifall …

Und dass unser Wahlgesetz eine Überprüfung dort mit Mehrheit abgelehnter Bewerbungen erst nach der Wahl zulässt, halten nicht nur einige Kommentatoren des Grundgesetzes für eine Rechtsschutzlücke – ich auch. Dann ist es nämlich für eine Korrektur zu spät.“

Demnach sehen nicht nur Sie, sondern auch die von Ihnen erwähnten „einigen Kommentatoren des Grundgesetzes“ eine Rechtsschutzlücke im dertzeitig geltenden § 48 BVerfGG. Denn nach Art. 19(4) GG darf es im effektiven Rechtsschutz keine "Rechtsschutzlücke" geben. Vielmehr hat er "weitgehend lückenlos" zu sein, und das nach jüngster bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung.

Ergänzend stelle ich fest, dass nach der gegenwärtigen Praxis durch Parlament und Gericht eine Wahlprüfung auch nach der Wahl „für eine Korrektur zu spät“ ist.

Dennoch legt das Bundesverfassungsgericht § 48 BVerfGG derzeitig auf eine Art und Weise zu eng aus, die einen effektiven Rechtsschutz auf dem Gebiet des Wahlrechts gar nicht zulässt. Seine Auffassung steht im Leitsatz des Beschlusses vom 12.01.1983 unter 2 BvQ 3/82, nachlesbar in: BVerfGE 63, 73ff., S. 73 wie folgt:

„Weder das Grundgesetz noch ein anderes Gesetz sehen eine vorverlegte Wahlprüfung durch das Bundesverfassungsgericht auf Antrag eines Wahlberechtigten vor.“

Sehen Sie dennoch eine Rechtsschutzlücke, welche durch das Gebot des effektiven Rechtsschutzes geschlossen werden soll? Darf und kann sich ein Bürger durch die Unmöglichkeit eines effektiven Rechtsschutzes nach Art. 13 EMRK auf das Widerstandsrecht nach Art. 20(4) GG berufen, um einerseits rechtliches Gehör, andererseits effektiven Rechtsschutz erhalten zu können? Sehen Sie durch die derzeitig geltende Regelung die „Bürgerwurde“ – im Gegensatz zur Menschenwürde – verletzt?

Für eine qualifizierte Antworte auf meine Fragen wäre ich Ihnen äußerst verbunden.

Mit freundlichen, bürgerlichen Grüßen

Ihr

Luis Fernández Vidaud

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