Sehr geehrter Herr Vidaud,
es überrascht Sie vielleicht, dass ich die meisten Ihrer Kritikpunkte am Umgang von Teilen der deutschen Mehrheitsgesellschaft und der Politik mit anderen Kulturen und Ethnien teile.
Insofern trifft Ihre Kritik an der Partei DIE LINKE aus meiner Sicht nicht zu. Da ich nicht weiß, auf welche mutmaßlichen Positionen Sie sich beziehen, kann ich darauf konkret auch nicht antworten. Aber, Parallelitäten mit Programmatik und Geist rechtsextremer Parteien existieren nicht. Vielleicht liegt aber auch einfach ein Missverständnis vor.
Die Integrationspolitik des rot-roten Senates hier in Berlin wurde erst jüngst u.a. von der Türkischen Gemeinde Berlin Brandenburg und anderen positiv gewürdigt. Senatorin Bluhm hat Anfang November 2009 die Erarbeitung eines Integrationsgesetzes angekündigt, das die gesellschaftliche Teilhabe von Migrantinnen und Migranten verbessern und rechtlich absichern soll.
Von "Gleichschalten" kann also gar keine Rede sein, im Gegenteil: die Vielfalt von Lebensformen und Lebensentwürfen ist für uns ein hohes Gut. Gerade Berlin lebt von dieser Vielfalt, sie macht die Stadt aus, sie macht die Stadt attraktiv und lebendig.
Dennoch, da haben Sie recht, gibt es nach wie vor Rassismus und Fremdenangst, auch Fremdenfeindlichkeit. Die manchmal absichtsvolle Verwechslung von Integration mit Assimilation ist weit verbreitet.
Für uns bedeutet Integration, Teilhabe zu ermöglichen, gegenseitige Toleranz zu üben, Menschrechte zu sichern und ein menschwürdiges Leben für alle zu ermöglichen, ungeachtet dessen, welcher Gruppe sie angehören. Zu einem solchen Verständnis passt keine "deutsche Leitkultur".
Konformitätszwang, Rollendenken, geschlechtspezifische Bezahlung und patriarchale Verhaltensmuster in der Arbeitswelt, auf die Sie mit den "Mannsweibern" anspielen, sind uns als gesellschaftlich problematische Muster sehr präsent. Mein Haus reagiert darauf mit einem gleichstellungspolitischen Rahmenprogramm, das die Selbstbestimmung und Freiheit beider Geschlechter zum Ziel hat. Dies als Homogenisierungsstreben zu verstehen, wäre eine grobe Missdeutung.
Sozialer Zusammenhalt ist keine linke Zwangsbeglückungsjacke, sondern Teil der europäischen Gesellschaftstradition. Die Fragen der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Ausgleiches gehören in vielen europäischen Ländern zu Kernfragen bei der Bewertung von Politik. Den meisten Menschen sind diese Wertorientierungen wichtig. Ohne sozialen Zusammenhalt, der sehr unterschiedlich organisiert und hergestellt werden kann, zerbrechen Gesellschaften. Sozialer Zusammenhalt ist in diesem Verständnis nicht in erster Linie Staatsräson, sondern liegt im unmittelbaren Interesse jedes Einzelnen als Teil der Gesellschaft.
Ein Gegensatz zwischen Freiheit und Integration existiert aus meiner Sicht nicht. Um sich frei in einer Gesellschaft orientieren zu können und handlungsmächtig zu sein, muss man anerkannter Teil dieser Gesellschaft sein und in ihr wie ein Fisch im Wasser schwimmen können. Darauf zielt unsere Integrationspolitik im Kern ab. Für Gleichmacherei und Homogenisierung ist da weder Platz noch Bedarf.
Mit freundlichen Grüßen
Harald Wolf, Bürgermeister und Senator für Wirtschaft, Technologie und Frauen
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